Kreuzigungsgruppe

"Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth,
den Gekreuzigten...     
...er ist nicht hier."

Mit diesen Worten am leeren Grab beginnt in Markus 16,6 das bis heute andauernde „Skandalon des Kreuzes“. Gott wirkt nicht so, wie wir es erwarten, Gott hält sich nicht an unsere Regeln, Gott ist  immer wieder neu, immer wieder anders. Immer wieder ver- oder zerstört er unsere gewohnten Bilder und Blickwinkel, mit denen wir uns in unserem Leben einzurichten suchen.

Das Volk war über die Lehre Jesu entsetzt (z.B. Mt.7,28), über seine Wunder (z.B. Mt.12,23), über seine Macht (z.B. Mk.6,51), 28x taucht das Wort Entsetzen in den Evangelien auf. Was unsere Bibel damit zum Ausdruck bringt, ist, dass die Begegnung mit diesem Gott den ganzen Menschen in Bewegung setzt, dass er alles hinterfragt, dass es nicht um eine intellektuelle Spielerei geht, sondern um „alles oder nichts“. Entsetzen und sich dann Neuorientieren – ein wesentliches Merkmal unseres Glaubens. Die Kunstgeschichte hat diese Bewegung aus unserer Heiligen Schrift über Jahrhunderte hinweg nachvollzogen. Alle Darstellungen, die wir vom Gekreuzigten kennen, waren in ihrer Zeit immer überfordernd – blutüberströmte Kreuzigungsszenen des Barock sind nur ein Beispiel. Das verstörende, aufrüttelnde Moment in der Kunst wird vor allem seit dem letzten Jahrhundert sichtbar. Angesichts der dauernden Schrecken ist für viele Künstlerinnen und Künstler eine realistische Darstellung kaum mehr möglich. Eine Annäherung gelingt nur noch über die Reduzierung auf Formen und Symbole. Das Kreuz ist kein Schmuckstück, sondern Symbol eines grauenhaften Todes, aus dem unser Gott dennoch in der Lage ist, neues Leben zu schaffen. Welch größere, ergreifendere Kraft, kann es geben. Als wir uns als Kirchengemeinde vor über 6 Jahren auf den Weg gemacht haben, die ursprünglich geplante aber nie verwirklichte Kreuzigungsgruppe über dem Hauptportal unserer Auferstehungskirche zu realisieren, war der Strudel, in den uns diese Aufgabe ziehen würde, nicht abzusehen. Fassungslosigkeit und Überforderung waren unsere Begleiter. Wir standen vor Modellen und Entwürfen, die uns in Form und Inhalt anstrengten, die wir emotional und intellektuell nicht begreifen konnten, die uns nicht berührten, oder zu sehr, die wir uns nicht an unserer Kirche vorstellen konnten. Denn das ergab sich als Verpflichtung: Eine historisierende Darstellung der Kreuzigungsgruppe konnte es nicht sein. Die Verwirklichung des Architektenplans unserer Kirche mit einem vorhandenen Entwurf aus den 50er Jahren hätte jede Weiterentwicklung geleugnet. Die Kirche von O.A. Gulbransson war schon zur damaligen Zeit eine Revolution. Dem Geist der Kirche als aufrüttelndes, theologisches Bauwerk wird nur eine zeitgemäße Darstellung gerecht. Es kann nur wie damals sein: An den Grenzen des Machbaren, mit echter Tiefe, mit großem Ernst und ohne die bestehende Architektur der Kirche zu gefährden. Wir sind einen weiten Weg gegangen und laden Sie nun ein, diesen Weg nachzuverfolgen. Um der Bedeutung unseres Vorhabens gerecht zu werden und allen die Möglichkeit zu geben, sich neu vom Kreuz Christi berühren und ansprechen zu lassen, haben wir diese Extraausgabe des Gemeindesbriefes gestaltet. Wir laden Sie ein zu einem Dialog über Form und Inhalt. Wir freuen uns auf das Gespräch mit Ihnen. Vor dem guten Beginn aber auch noch ein Wort zur Frage nach der Finanzierung: Es wird kein Geld verwendet, das für die Sanierung unserer Kirchen bestimmt ist. Zu unserer großen Freude übernimmt die Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee gemeinsam mit unserer Landeskirche und einem privaten Sponsor die Kosten für das Kunstwerk. Dafür danken wir sehr herzlich!

Für den Kirchenvorstand der Kirchengemeinde Tegernsee, Rottach-Egern und Kreuth,

Pfarrer Dr. Martin Weber